Indien war für uns mit Sicherheit einer der faszinierendsten Orte unserer bisherigen Reisen. Einfach alles ist chaotisch und dennoch wunderschön. Wir fühlten uns gleichzeitig überfordert und trotzdem wohl. Wir waren sogar so begeistert, dass wir fast genau ein Jahr später ein zweites Mal nach Indien gereist sind.
Vor der Reise haben wir uns ausführlich über Indien informiert und unsere Route so gut es ging vorausgeplant. Wir dachten, auf alles vorbereitet zu sein. Doch dann in Neu-Delhi zu stehen, war einfach etwas ganz anderes. Der Verkehr, die Luft, der Lärmpegel und überall Menschen – wir waren einfach überwältigt.
In den folgenden Zeilen möchten wir euch einige Geschichten und Erlebnisse schildern, die Indien für uns zu einem ganz besonderen Ort gemacht haben.
1. Varanasi – Zwischen Spiritualität und Alltag
Varanasi war eine unserer Lieblingsstädte in Indien. Die Stadt liegt direkt am heiligen Fluss Ganges und ist mit Sicherheit einer der bedeutendsten spirituellen Orte des Landes. Auf den ersten Blick wirkt sie wie viele andere indische Städte: laut, chaotisch und voller Leben – Kühe auf der Straße, Händler, Rikschas, Tuk-Tuks – eben typisch Indien. Doch sobald man sich durch die engen Gassen zum Ganges begibt, spürt man sofort die besondere Atmosphäre der Stadt. Jeden Morgen und Abend werden am Flussufer Zeremonien abgehalten, und an manchen Stellen finden sogar Begräbnisrituale statt.
Rituale am Ganges
Bereits zum Sonnenaufgang werden an einigen sogenannten Ghats – so nennt man die großen Versammlungsplätze am Ganges – die ersten Zeremonien, die Ganga-Aartis, abgehalten. Dabei führen mehrere Priester gleichzeitig dasselbe Ritual zu Ehren des Flusses durch. Rund um sie herum versammeln sich zahllose Gläubige und beten mit.
Währenddessen und den ganzen Tag über werden am Manikarnika Ghat verstorbene Hindus verbrannt. Diese Verbrennungszeremonien finden völlig öffentlich und ohne jegliche Tabus statt. Das Motto, das wir hier aus erster Hand erfahren durften, lautet: “Burning is learning”. Für die Hindus bedeutet das Verbrennen an diesem Ort das Ende ihres Reinkarnationszyklus (der Wiedergeburt) und ist daher von großer Bedeutung.
Wir waren überrascht, wie offen hier mit dem Tod umgegangen wird. Noch erstaunlicher war, dass sich dieses vielleicht bizarr klingende Ritual ganz natürlich anfühlte. Die Atmosphäre war friedlich und der Geruch - hauptsächlich nach verbranntem Holz - ist keineswegs unangenehm. Wir lernten, dass es wichtig ist, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren und nicht zu verdrängen, wie es in unseren Kulturkreisen oft der Fall ist. Am Abend, kurz nach Sonnenuntergang, finden erneut Ganga-Aartis statt – diesmal mit noch mehr Zuschauern als am Morgen, während die Priester synchron ihre Zeremonie durchführen.

Neben den vielen Ritualen gibt es in Varanasi aber auch sonst einiges zu entdecken. Unzählige Tempel laden zu einem Besuch ein, und geschäftige Straßen voller Läden und Restaurants bieten Gelegenheit zum Verweilen. Inmitten dieses bunten Treibens fanden wir ein kleines Teelokal, in dem wir den wahrscheinlich besten Tee unseres Lebens genossen haben. Varanasi hat uns tief beeindruckt – vor allem der offene Umgang mit dem Tod und die einzigartige Atmosphäre dieser besonderen Stadt.
2. Indische Gastfreundschaft – Jeder will dich einladen
Eine der beeindruckendsten Erfahrungen in Indien ist die unglaubliche Gastfreundschaft der Menschen. Wir übernachteten hauptsächlich in Hostels, um andere Reisende zu treffen. Was uns jedoch überraschte, war, dass wir dort hauptsächlich indische Reisende kennenlernen durften. Inder und Inderinnen erkunden gerne ihr eigenes Land. Ausnahmslos alle waren unglaublich freundlich und wollten uns so viel wie möglich über ihr Heimatland und ihre Kultur zeigen.
Neben unseren Bekanntschaften in den Hostels versuchten wir, über die App “Couchsurfing” noch tiefer in die Kultur einzutauchen. Dabei hatten wir besonderes Glück, denn in Mumbai und Chennai trafen wir auf unglaublich herzliche Menschen. Nimit, unser Gastgeber in Mumbai, nahm uns sogar auf eine lokale Food-Tour mit und lud uns auf unser Essen ein. In Chennai wurden wir von einer Familie zu ihrem traditionellen Diwali-Essen eingeladen und aßen mit ihnen gemeinsam von Bananenblättern. Beide Male wurden wir wie alte Freunde empfangen und sofort in die Gemeinschaft aufgenommen.
Doch nicht nur in ihren Häusern sind die Inder so freundlich, auch auf der Straße begegneten uns viele hilfsbereite Menschen. Wir fühlten uns nie unsicher, weil wir stets das Gefühl hatten, dass jeder das Beste für uns wollte. In Mumbai wurden wir sogar spontan auf der Straße von einem völlig Fremden auf einen Chai eingeladen – einfach, um uns willkommen zu heißen.
Es ist schön zu sehen, wie offen und freundlich die Menschen hier miteinander umgehen. Es gibt kaum Misstrauen gegenüber Fremden, sondern vielmehr ehrliche Neugier und Interesse.
3. Chai – Mehr als nur ein Getränk
In Indien dreht sich alles um Chai. Es ist nicht nur ein Getränk, sondern eine Lebenseinstellung. An jeder Straßenecke dampft ein Kessel, um den sich Menschen versammeln. Chai wird zu jeder Tageszeit getrunken und mit Genuss zelebriert.
Es kann sogar vorkommen, dass im Museum eine kurze Chai-Pause eingelegt wird und alle Angestellten mit Tee versorgt werden.
Getrunken wird der Chai meistens aus kleinen, ungebrannten Tonschalen, die nach Gebrauch einfach auf einen Haufen geworfen und recycelt werden. Mobile Chai-Verkäufer servieren den Tee auch oft in winzigen Pappbechern, die kaum größer als ein Schnapsglas sind.
Im Vergleich zur indischen Chai-Kultur wirkt unsere österreichische “Kaffee & Kuchen”-Tradition fast distanziert und selten. Während wir Kaffee oft in Ruhe genießen, ist Chai in Indien ein soziales Ereignis, das mehrfach am Tag draußen stattfindet.
4. Das gesprochene Wort zählt – auch wenn es lange dauert
Eine weitere Überraschung war, dass einmal getroffene Abmachungen in Indien wirklich zählen – auch wenn es lange dauern kann, sie zu treffen.
Es kann viel Zeit und Geduld kosten, bis man einen Preis für eine Dienstleistung oder einen Gegenstand ausgehandelt hat. Doch sobald diese Hürde genommen ist, kann man sich darauf verlassen, dass die Abmachung eingehalten wird.
Jenny und ich haben in Jodhpur bei unserer Abreise bestimmt eine Viertelstunde mit einem Tuk-Tuk-Fahrer über den Fahrpreis verhandelt. Am Ende lag der Preis irgendwo zwischen unseren und seinen Vorstellungen, und er nahm uns mit. Unsere Fahrt sollte zum Busbahnhof gehen, doch wir wussten nicht genau, wo unser Bus abfuhr. Der Fahrer brachte uns zunächst zum größten Busbahnhof und fragte dort einen Busfahrer, ob wir richtig seien. Als sich herausstellte, dass unser Bus woanders abfuhr, setzte er uns kurzerhand wieder ins Tuk-Tuk und brachte uns zur richtigen Haltestelle. Er wollte sicherstellen, dass wir auch wirklich im richtigen Bus landen.
Alles in allem braucht man Geduld, um eine Einigung zu erzielen, aber wenn sie einmal steht, kann man sich auf das Wort verlassen.
5. Indiens Zugnetz ist wahnsinnig zuverlässig und erstaunlich pünktlich
Ehrlicherweise hatten wir beim Buchen der Züge über die indische Bahn-Website kein besonders gutes Gefühl. Wir stellten uns überfüllte, schmutzige und stark verspätete Züge vor. Trotzdem entschieden wir uns alle unsere Inlandsreisen im Voraus zu buchen, da wir in der Hauptreisezeit unterwegs waren. Umso überraschter waren wir, als unser erster Zug überpünktlich von Delhi abfuhr. Auch alle anderen vorgebuchten Züge waren verhältnismäßig pünktlich. Selbst auf der 14-stündigen Fahrt von Agra nach Varanasi, bei der der Zug bei unserem Einstieg bereits über 30 Stunden unterwegs war, hatten wir nur 60 Minuten Verspätung.
Auch das Innere der Züge hat uns positiv überrascht. In allen Klassen außer der ersten gibt es mehrere, nicht abgeschlossene Abteile. An jeder Wand befinden sich drei Betten, im Gang weitere zwei – somit können bis zu acht Personen gleichzeitig in einem Abteil schlafen. Frisch gewaschene, dünne Decken, Polster und Leintücher werden für die Fahrt bereitgestellt. Tagsüber lassen sich die Betten hochklappen, sodass Sitzbänke entstehen, auf denen sogar mehr als acht Personen Platz finden.
Ebenfalls überraschend war der Service an Bord: Angestellte der Indian Railways gehen durch die Wagons und verkaufen Getränke sowie Snacks. Außerdem kann man online Essen vorbestellen. Wir haben das auf unserer Fahrt von Delhi nach Jaipur getestet, und unser Essen wurde uns heiß und pünktlich - am Bahnsteig durch das offene Fenster herein - serviert.
6. Das Verkehrschaos ohne Regeln – und doch funktioniert es
Wer zum ersten Mal auf Indiens Straßen unterwegs ist, wird sofort von der schieren Menge an Verkehrsteilnehmern überwältigt. Lastwagen, Busse, Autos, Tuk-Tuks, Mopeds, Rikschas, Fahrräder, Fußgänger, Kinder, Kühe, Affen und Hunde teilen sich denselben Raum. Überall wird gehupt, gerufen, geblinkt oder gebellt. Aus unserer geordneten Verkehrswelt kommend, wirkte das wie absolutes Chaos. Und doch scheint eine gewisse Ordnung darin zu stecken, denn der Verkehr fließt erstaunlich reibungslos.

Als wir wieder einmal in einem Tuk-Tuk Slalom zwischen Kühen, Menschen und Autos gefahren sind, sagte unser Fahrer zu uns: “Mit Regeln gäbe es hier nur Stau und Unfälle – so bleibt jeder aufmerksam.”
Tatsächlich scheint das System auf seine eigene Weise zu funktionieren, denn während unserer sieben Wochen in Indien sahen wir kaum Unfälle. Zudem kamen wir überraschend zügig voran, egal wie chaotisch der Verkehr auf den ersten Blick war.
Fazit: Warum Indien uns immer wieder verblüfft
Indien ist ein Land voller Gegensätze, das uns immer wieder überrascht hat. Egal, wie viel wir uns vorher informiert und vorbereitet hatten – nichts konnte uns auf die Intensität dieses Landes wirklich vorbereiten.
Besonders überraschend war, wie verlässlich das indische Zugnetz funktioniert und wie viel Wert auf das gesprochene Wort gelegt wird. Trotz des scheinbaren Chaos läuft in Indien vieles auf eine Art und Weise ab, die sich für Außenstehende oft erst mit der Zeit erschließt.
Unsere Erfahrungen haben uns gezeigt: Indien kann überfordernd sein, aber genau das macht es so einzigartig. Wer sich darauf einlässt, wird mit unvergesslichen Begegnungen, tiefen Einblicken in eine faszinierende Kultur und Momenten belohnt, die man nirgendwo sonst erleben kann. Kein Wunder, dass wir nicht anders konnten, als zurückzukehren.
Hast du noch Fragen oder hat dich ein Land schon einmal genauso überrascht? Schreib uns gerne auf Instagram.
Viel Spaß beim Erkunden des vielfältigen Indiens!
Pati