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#8 Varanasi

Von Agra aus wären wir eigentlich erst am Freitag Abend nach Varanasi gefahren, allerdings waren wir bei diesem Zug bereits über zweieinhalb Monate auf der Warteliste und kamen keinen einzigen Platz weiter nach oben auf der Liste. Deshalb haben wir in Delhi beschlossen, doch noch einen zweiten, früheren Zug nach Varanasi zu buchen. Heute Abend um 17.45 Uhr soll der Zug vom Bahnhof Agra Fort starten.

Mit dem Zug von Agra nach Varanasi

Wir verbringen den Nachmittag in Agra noch auf der Dachterrasse mit Blick aufs Taj Mahal und spielen Karten. Immer wieder checken wir die Abfahrtszeit des Zuges, doch es gibt in Indien dafür mehrere verschiedene Webseiten, die alle etwas anderes sagen. Unser Zug ist vor über 24 Stunden in Mumbai gestartet und fährt insgesamt 3 Tage bis nach Varanasi. Wir vermuten, dass der Zug deshalb mittlerweile ziemlich verspätet sein könnte. Den Webseiten nach zu urteilen, ist der Zug irgendwo zwischen pünktlich und drei Stunden verspätet. Um uns den Stress zu ersparen, den wir schon damals in Neu Delhi hatten, beschließen wir dieses Mal einfach trotzdem pünktlich am Bahnhof zu sein und vermutlich mehrere Stunden zu warten.

Zu unserem Erstaunen hat der Zug schlussendlich nur eine Stunde Verspätung und wir fahren um 18.45 Uhr bereits los. Weil wir den Zug sehr kurzfristig gebucht haben, waren nur noch Plätze in der ersten Klasse frei. Als wir einsteigen, stellen wir zu unserer Überraschung fest, dass wir ein ganzes Abteil mit zwei Betten nur für uns alleine haben. Die Freude ist riesig!

Zug in Indien Zug in Indien

Im Zug möchte ich mir die Hände waschen. Es gibt zwei Räume, auf denen Bathroom steht. Einer davon mit WC, der andere sogar mit Dusche, aber beide mit Waschbecken. Ein Mann steht vor den Räumen. Um das WC nicht zu besetzen, gehe ich also in den Raum mit der Dusche, weil der ebenso ein Waschbecken hat. Als die Tür hinter mir zufällt, höre ich den Mann draußen rufen. Ich öffne daher wieder die Tür und der Mann schaut mich mit riesigen Augen an und erklärt mir, dass das nicht das WC sei – offenbar hatte er Panik, dass ich mich in der Dusche erleichtere 😀

Wir essen noch eine Kleinigkeit zu Abend, spielen eine Runde Karten und machen uns bettfertig. 10 Stunden später wachen wir bestens ausgeruht auf. Die Zugfahrt vergeht wie im Flug und dann steigen wir auch schon in Varanasi aus. Den Nachmittag verbringen wir gemütlich im Hostel und am Abend gehen wir erstmals wieder in ein Restaurant zum Essen – herrlich!

Geschichten über Varanasi

Am nächsten Tag müssen wir vom 14er-Zimmer in ein 8er-Zimmer umziehen. Wir lernen dabei Roy kennen, einen Inder, der in Varanasi ist, um am Ganga Aarti – der Verehrung des Ganges, die jeweils zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang stattfindet – teilzunehmen, den Tempel zu besuchen und sich im Ganges zu waschen. Er erzählt uns eine Menge über die Geschichte von Varanasi und wir verbringen den Abend mit ihm. Weil Vollmond ist, findet heute keine Verehrung statt, doch wir spazieren gemeinsam mit Roy durch die Straßen Varanasis.

Varanasi

Er erzählt uns, dass gläubige Hindus hierherkommen, um zu sterben, denn sie glauben daran, dass sie hier in Varanasi Moksha (die Befreiung der Wiedergeburt Samsara) erreichen, wenn sie vor Ort sterben. Es gibt sogar eine Art „Hotel“, direkt vor der Verbrennungsstätte für alte und kranke, sterbende Menschen. Man kann sich auch nach dem Tod nach Varanasi bringen und hier verbrennen lassen – auch das führt zu Moksha. Idealerweise sollte ein Abreisender, wie Hindus den Toten nennen, innerhalb von 24h verbrannt und seine Asche im Ganges verstreut werden, um der Seele das Weiterreisen zu ermöglichen.

Wenn eine Leiche verbrannt wird, wird sie mit dem Boot zur Stätte gebracht und von der Familie auf einen Holzblock gebettet. Der älteste Sohn der Familie zündet in der Regel das tote Familienmitglied an und die Verbrennung beginnt. Sterben die Eltern einer Familie, so rasieren sich danach alle Söhne die gesamten Haare zu einer Glatze. Stirbt nur ein Elternteil, wird am Kopf hinten ein kleines Haarbüschel stehen gelassen. Das Ganze passiert direkt am Ufer des Ganges im Beisein der Männer der Familie und gehört zum Trauerritual. Wir können es im Vorbeigehen bereits ein wenig beobachten und beschließen, uns das Ganze morgen nochmal in Ruhe anzusehen.

Von Roy lernen wir, dass Varanasi der Ort des Gottes Shiva ist. Shiva‘s Farbe ist Orange, daher tragen alle Priester hier Orange. Es sind sehr viele Priester am Ufer, die die Energie der Geister, die durch die Verbrennungen am Ufer angenommen werden, aufnehmen sollen.

Varanasi erkunden

Chai and more

Auf dem Rückweg zum Hostel kommen wir auf einer stark befahrenen Straße an einem Chai-Tea-Stand vorbei. Roy möchte gerne einen Tee trinken und bekommt ihn in einer schönen, kleinen Tonschale serviert. Er fragt uns, ob wir uns hinsetzen möchten und wir können auf den ersten Blick auf dieser belebten Straße beim besten Willen keinen Platz zum Sitzen erkennen. Es stehen aber tatsächlich Hocker neben dem Stand mit Tee – direkt hinter einem geparkten Motorrad. Dahinter rasen Rikschas, TukTuks und Mopeds vorbei und hupen lautstark. Wir sitzen kurz inmitten des Chaos, während unser Freund seinen Tee genießt. Danach wirft er die Tonschale in einen Korb – offensichtlich der Müll. Wir erfahren, dass diese Tonschalen als Einwegtassen fungieren.

Chai am Straßenrand Chai am Straßenrand

Beim Abendessen bestellt Roy extra etwas Südindisches, das nach seiner Aussage gar nicht scharf ist. Wir dürfen es probieren und natürlich ist es uns viel zu scharf 🌶️.

Morning Ganga Aarti

Auf der Terrasse unseres Hostels lernen wir später noch sechs weitere Inder kennen, die mit uns am Morgen zum Ganga Aarti gehen wollen. Wir stehen daher am folgenden Tag um 4.15 Uhr auf und fahren gemeinsam zum Assi Ghat. Dort beginnt um 5.00 Uhr die Zeremonie zum Sonnenaufgang. Dank unserer einheimischen Begleitung sitzen wir ganz vorne in der ersten Reihe auf dem Teppich und erleben alles aus nächster Nähe.

Es ist eine lange Zeremonie, die ca. 1h dauert – bis die Sonne aufgegangen ist. Während der Zeremonie schwenken sieben Priester, die man hier Pandits nennt, synchron Feuer und Rauch in bestimmten Abläufen. Dazu singen fünf Mädchen immer und immer wieder dasselbe Mantra. Zum Schluss bekommen wir noch Blüten in die Hand gedrückt, die wir dann auf einen der Sockel, auf die die Pandits stehen, werfen. Gleichzeitig werden wir dazu mit Wasser aus dem Ganges gesegnet. Danach gibt es noch kleine, weiße Süßigkeiten für alle und das Morning Ganga Aarti ist beendet.

Ganga Aarti Ganga Aarti
Ganga Aarti Ganga Aarti
Ganga Aarti Ganga Aarti

Unsere Gruppe macht sich danach auf zum Hindu-Tempel, der hier eine der Hauptattraktionen ist. Der Eintritt ist für Ausländer teuer und ohne Pass dürfen wir auch gar nicht hinein. Wir haben ihn aktuell auch gar nicht dabei. Deshalb machen wir uns auf den Rückweg zum Hostel und schlafen noch ein bisschen.

Manikarnika Ghat und Evening Aarti

Am späten Nachmittag spazieren wir nochmals zum Manikarnika Ghat, um uns eine Verbrennung anzusehen. Die gesamte Zeremonie ist ein unglaubliches Erlebnis. 24/7 werden an diesem Platz Leichen verbrannt. Abreisende werden auf einer Bambustrage, eingehüllt in rot-gelbe Tücher und orange Blumen, von den Männern der Familie zum Ganges getragen, wo sie ein letztes Mal gewaschen werden. Danach wird ein großer Holzstapel vorbereitet, der Körper darauf platziert und vom ältesten Sohn der Familie angezündet. Es dauert dann ca. drei Stunden, bis ein Körper ganz verbrannt ist. Mehrere Männer der untersten Kaste arbeiten am Manikarnika Ghat. Sie bewegen sich barfuß zwischen den vielen Feuern und glühenden Überresten und achten darauf, dass auch wirklich der gesamte Körper kremiert. Während wir dort sind, zählen wir gleichzeitig 14 Verbrennungen. Es liegt deshalb viel Rauch in der Luft und die Gegend hat einen interessanten Vibe, trotzdem riecht es nicht unangenehm.

Während wir dort sind, sehen wir neben den trauernden Familien auch viele indische Touristen, die hierherkommen, um sich die Verbrennungen anzusehen. Jeder ist eingeladen, sich das Lebensende genauer anzusehen. Das Motto hier lautet: Burning is learning. Trotzdem hat das Ganze einen komischen Beigeschmack, weil auch hier an diesem besonderen Ort wieder Menschen auf uns zukommen und Fotos mit uns machen wollen, während im Hintergrund Begräbnisse stattfinden.

Manikarnika Ghat Evening Ganga Aarti

Am Abend gehen wir weiter zum Dashashwamedh Ghat. Hier findet das berühmte Ganga Aarti, das wir morgens schon an einem anderen Teil des Ganges gesehen haben, abends statt. Im Gegensatz zum Morning Aarti ist es eine richtige Touristenattraktion. Auf dem Platz tummeln sich tausende Menschen und man hat kaum Platz zum Stehen. Dutzende Boote haben sich am Ganges direkt vor den Platz der Abendzeremonie gestellt. Es ist wirklich kein einziger Platz mehr frei. Wir können nicht glauben, wie viel hier schon wieder los ist. Auf einem Foto lässt es sich kaum festhalten. Die Zeremonie ist jedoch dieselbe wie am Morgen und weil wir hungrig sind, beschließen wir den Platz vor Ende der Zeremonie zu verlassen. Es stellt sich heraus, dass das eine sehr gute Idee war, denn als wir uns auf den Weg machen, tun bereits sehr viele Inder dasselbe. Es herrscht, wie beim Dusshera Festival, enormes Gedränge und wir sind froh, als wir wieder auf der Hauptstraße sind. Solche Menschenmassen sind wohl einfach nichts für uns.

Dashashwamedh Ghat

Zu Fuß spazieren wir zu unserem, mittlerweile, Stammlokal – The Coffeehouse. Wir essen Dal Rice und zwei Chapati und fallen danach, müde von den ganzen Eindrücken des Tages, ins Bett.


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